Vertriebsexpansion am Beispiel der Stadtwerke Augsburg und der enercity

Der anhaltend hohe Wettbewerbsdruck im Energievertrieb sorgt bei vielen Grundversorgern für sinkende Marktanteile in ihren Heimatmärkten. Bspw. ging der Marktanteil der swb aus Bremen bei Strom zwischen 2010 und 2017 von 86 auf 80 Prozent und bei Gas von 93 auf 77 Prozent zurück. Eine naheliegende Strategie, um die Kundenverluste im Grundversorgungsgebiet zu kompensieren, ist die Ausweitung des Vertriebsgebiets. Genau dies haben in jüngster Zeit die Stadtwerke Augsburg und die enercity getan.

Stadtwerke Augsburg: Billig? Will ich!

Zuletzt haben die Stadtwerke Augsburg mit ihrer neuen Marke "Billig? Will ich!" den (nahezu) bundesweiten Vertrieb aufgenommen. Der Markename ist Programm und wird auch optisch unterstützt. Das Logo ist in knalligen Farben gehalten, die großen Lettern springen sofort ins Auge. Die zuerst berichtende Augsburger Lokalpresse spricht von "Discounteroptik". SWA-Vertriebsleiter Ulrich Längle begründet den Schritt mit sinkenden Margen und dem fallenden Marktanteil im Heimatmarkt, was u.a. den günstigen Preisen der immer zahlreicheren Wettbewerber geschuldet sei. Der Marktanteil der SWA betrage in Augsburg aktuell etwa 80 Prozent. Diesen gelte es zu sichern. Zusätzlich sollen mit der neuen Marke jährlich 10.000 Kunden gewonnen werden.

Das Angebot besteht aktuell aus dem Graustromtarif "Billig Strom Online" mit einer Option auf Ökostrom und dem Erdgasprodukt "Billig Gas Online". Die Produkte sollen insbesondere auf Vergleichsportalen auf den vorderen Plätzen positioniert werden. Hier seien PLZ-genaue Aktionen und Kampagnen geplant. Zum 1. Oktober 2018 war der Stromtarif "Billig Strom Online" auf Verivox bei einem Verbrauch von 4.000 kWh/Jahr in einigen ausgewählten PLZ-Gebieten in den Top 50 zu finden. Geographisch lag der Fokus auf Baden-Württemberg und in sehr geringem Umfang auf Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Stichprobenartig konnten wir feststellen, dass der Tarif im Südwesten überwiegend auf den Plätzen sechs bis neun landet.

Die SWA arbeiten mit hohen Boni, bspw. in Ravensburg mit einem Sofortbonus von 362 Euro. Betrachtet man die einwohnerstärkste PLZ 71665 in Baden-Württemberg, in der "Billig? Will ich!" am 1. Oktober auf Platz neun der Tarifempfehlungen lag, wurde dort ein Preis von 928,76 Euro/Jahr aufgerufen, der in Summe einen Bonus von 450 Euro enthielt.

Über die Webseite billig-will-ich.de ist der Tarif in mehr Regionen verfügbar. Zudem gelten derzeit andere Preise als bei Verivox. Im obigen PLZ-Beispiel kostet der Tarif auf der Webseite inkl. Bonus rund 350 Euro mehr. Gleiches gilt bspw. auch für die PLZ 68723 oder 69168.

In PLZ-Gebieten, die auf Verivox nicht bedient werden, ist der Preis, der für diese über die Webseite ausgegeben wird, tendenziell hoch. Der Preisabstand zum lokalen Grundversorger in der Beispiel-PLZ 94315 beträgt bei 4.000 kWh/Jahr rund 68 Euro. Wählt man die Ökovariante, ist der Tarif rund 50 Euro teurer als die Grundversorgung. Vom günstigsten verfügbaren Tarif auf Verivox ist der Graustromtarif rund 260 Euro entfernt. Der Fokus liegt also aktuell auf den Vergleichsportalen.

Neben Vergleichsportalen wird "Billig? Will ich!" auch im Direktvertrieb vermarktet. Als erste Distribution befasst sich die new Sales GmbH mit der Marke.

Enercity – #kannstdirsparen

Einen alternativen Vertriebskanal nutzt derzeit die enercity, die sich nach Jahren der Kundenverluste im Hannover dazu entschloss, ihr Vertriebsgebiet auszuweiten. Ähnlich zu den SWA entschied sich die enercity für eine gezielte Expansion, die zuerst nach Berlin und Umgebung führte. Allerdings nutzt das Stadtwerk nicht Vergleichsportale als Vertriebskanal, sondern bietet Wechselinteressenten neben einer Webseite die eigens programmierte App "enercity: Strom und Gas so flexibel wie Du!" an. Sie wurde in Googles Play Store bisher über 1.000 Mal heruntergeladen.

Die App verspricht Einfachheit und Übersichtlichkeit. Sie lokalisiert automatisch den Standort des Nutzers und bestimmt darüber die Lieferadresse. Anschließend können die Produkte Strom und/oder Gas gewählt werden. Darüber hinaus ermöglicht sie die komplette Vertragsverwaltung.

In der Berliner Beispiel-PLZ 10965 ruft die enercity für "enercity Strom" bei einem Verbrauch von 4.000 kWh/Jahr einen Preis von 1.097 Euro auf. Boni werden nicht angeboten. Dieser Preis ist somit nicht im Discount-Segment und meist nur geringfügig unterhalb des lokalen Grundversorgungstarifs angesiedelt.

Das digitale Wechselangebot wurde von einer Online-Kampagne unter dem Slogan "#KannsteDirSparen" flankiert. Dieser suggeriert zum einen ein günstiges Angebot, zum anderen verspricht er ein simples Vertragsverhältnis, für dessen Verwaltung nur eine einzige App nötig ist. Laut Unternehmensangaben setzt man im Vertrieb ausschließlich auf Online-Maßnahmen, lokale Influencer und soziale Medien. Die Wahl der Vertriebsinstrumente ist der anvisierten Zielgruppe geschuldet. Der Versorger will vor allem junge, urbane Kunden gewinnen.

Die Werbe- und Kommunikationskanäle scheinen im Rahmen der Kampagne für Berlin sehr gezielt ausgewählt worden zu sein. Weder bei Instagram noch Twitter liefert die Suche nach dem Hashtag #KannsteDirSparen relevante Ergebnisse. Bei Facebook erscheinen wenige vom Versorger selbst verfasste Beträge.

Dennoch bewertete die enercity die Ergebnisse als positiv. Man habe in Berlin Fuß gefasst, der Markteintritt sei gelungen. Daher ist der Wechsel über die App seit dem Sommer auch bundesweit möglich. Zur Halbjahresbilanz 2018 gab der Versorger bekannt, nun „ein paar tausend Kunden mehr“ zu haben. Der bundesweite Vertrieb laufe gut.

Parallelen und Unterschiede

Die beiden vorgestellten Beispiele einer Vertriebsexpansion über den Heimatmarkt hinaus weisen eine Parallele auf. Die Marke der SWA und der zentrale Slogan der enercity beinhalten die Wörter "billig" und "sparen". Sie sollen also preissensible Kunden anlocken. Diese Strategie dürfte im bundesweiten Wettbewerb unumgänglich sein, ist doch der Preis weiterhin das wichtigste Kriterium für die meisten Wechsler. Führen die SWA die aktuelle Preispolitik fort, sind 10.000 gewonnene Kunden innerhalb eines Jahres nicht unrealistisch. Sollen diese langfristig gehalten werden, sind weitere Maßnahmen notwendig.

Denn der bundesweite Vertrieb kann durchaus mühevoll sein und eine hohe Kundenfluktuation mit sich bringen. Um unterschiedliche Vertriebstrategien auf Online-Vergleichsportalen optimal umzusetzen, ist fundiertes Wissen über das Wechselverhalten der Kunden nötig. Dieses vermittelt bspw. die Wechslerstudie Energie. Die Ausgabe für das erste Halbjahr 2018 zeigt bspw. auf, dass sich Kunden, die beim Wechsel des Stromversorgers auf einen Bonus verzichten, mehr als doppelt so häufig einen Ökostromvertrag abschließen, als die Bonusnutzer (mehr Informationen zu diesem Thema gibt es hier).

Darüber hinaus sollten Anbieter im bundesweiten Vertrieb über weiterführende Maßnahmen nachdenken. Darunter fallen bspw. Kundenbindungsmaßnahmen oder die Weiterentwicklung des Produktportfolios mit Mehrwerten, die die Fixierung auf den reinen Preis teilweise aufheben können. Als Experte für die Vertriebskanaloptimierung und Produktentwicklung steht Ihnen Kreutzer Consulting zur Seite. Informieren Sie sich gerne in einem unverbindlichen Gespräch mit uns. 

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